Dienstleistungen im Internet sollen nicht nur möglichst effizient und einfach abzuwickeln sein, sondern den Nutzerinnen und Nutzern auch ein gutes Erlebnis bieten. Dieses Ziel verfolgt Simone Wegelin in ihrem Berufsalltag als Service Designerin. Nebst ihrer Tätigkeit bei der Digitalagentur Liip AG ist sie Dozentin im CAS Digital Public Services an der FHS St.Gallen. Im Interview erklärt sie, warum digitale Services viel mehr sind als Software und was es braucht, damit sich aus einer Idee ein erfolgreiches Projekt entwickelt.
Frau Wegelin, im CAS Digital Public Services unterrichten Sie das Modul Service Design. Sie beschäftigen sich also mit der Frage, wie öffentliche Dienstleistungen im Internet gestaltet werden sollen. Wie fortschrittlich ist die Schweiz diesbezüglich?
Wo der Staat mit seinen Bürgern interagiert, ist fast immer ein Service betroffen. Ein guter Service ermöglicht seinen Nutzern, schnell und einfach zu ihrem Ziel zu kommen. Er orchestriert technische Systeme, Prozesse, Abläufe und Mitarbeiter so, dass dies möglichst effizient erreicht werden kann. Für mich sind wir in der Schweiz bei öffentlichen digitalen Services häufig immer noch zu stark darauf fokussiert, interne Prozesse und Strukturen einzuhalten oder das anzubieten, was bestehende technische Systeme hergeben.
Dann ist die Technik gar nicht das Wichtigste?
Der Mensch muss im Zentrum stehen – ob es sich nun um einen Bürger handelt oder einen Mitarbeitenden. Wir sollten uns also fragen, was die Nutzerinnen und Nutzer des neuen Service wirklich brauchen. Wer tagtäglich mit einem digitalen Service in Berührung kommt, muss darauf zählen können, dass dieser seinen Bedürfnissen angepasst ist. Alles andere ist mühsam, ärgerlich und ineffizient. Digitale Behördendienste in der Schweiz haben noch ein enormes Potential, um Geld, aber auch Mühe und Ärger der Bürger und Mitarbeiter mit gut designten Services einzusparen. Service Design als Denk- und Vorgehensweise bietet sehr gute und strukturierte Methoden, um solche Services zu erarbeiten.
Woher weiss man, was die Nutzerinnen und Nutzer möchten?
Ich arbeite immer empirisch. Annahmen, was Nutzer wollen, sind meistens falsch oder nicht vollständig. Daher lohnt es sich, zu Beginn eines neuen Service-Projekts Zeit und Geld zu investieren, um beispielsweise mittels Nutzerinterviews oder Beobachtungen faktenbasiert herauszufinden, wo den Nutzern wirklich der Schuh drückt.
Und die Erkenntnisse fliessen dann ins Design ein?
Digitale Services sind viel mehr als nur Software. Man muss sie ganzheitlich sehen. Gute digitale Services vereinen alle Aspekte von Menschen und ihren Verhaltensweisen, Tools, Prozessen, und Systemen unter einem Hut mit dem Ziel, eine gemeinsame Servicevision zu erfüllen. Entsprechend müssen wir auch alle diese Aspekte beim Designen eines Service bewusst beachten und integrieren, um einen guten Service zu erhalten.
Was muss man sonst noch beachten, damit ein Service zum Erfolg wird?
Gute Serviceideen sind die Basis für erfolgreiche Services. Aber nur, wenn sie auch wirklich den Weg in die Realität finden, bringen sie etwas. Die Kunst eines guten Service-Design-Projekts besteht daher darin, einerseits den Ideen genügend Freiraum zu bieten und andererseits früh genug auch das technische und organisatorische Umfeld einzubeziehen. Hier muss man manchmal etwas kreativ sein, um pragmatische Lösungen zu finden, die trotz Gegebenheiten immer noch die Nutzerbedürfnisse befriedigen. Eine gezielte Priorisierung ist das A und O. Man kann und soll nicht immer alle Ideen umsetzen. Aber dort, wo es für den Nutzer wirklich einen Mehrwert gibt, muss man in die zentralen Ideen investieren und deren gute und solide Umsetzung ermöglichen. Manchmal können auch mehrere kleine Massnahmen eine grosse Verbesserung bewirken – es muss nicht immer die eine grosse Idee sein.
Ohne zu viel zu verraten: Wovon profitieren die Teilnehmenden des CAS Digital Public Services in ihrem Modul?
Im CAS lernen die Teilnehmenden zeitgemässe und innovative Ansätze kennen, wie man mit digitalen Services und guter digitaler Kommunikation wirklich einen Unterschied machen und etwas bewirken kann. Es ist eine grosse und spannende Aufgabe, den Bürgern den Umgang mit dem Staat zu vereinfachen. Ich möchte mit konkreten Methoden, Beispielen und Übungen neue Wege aufzeigen, wie man digitale Services gestalten kann, die wirklich einen Impact auf ihre Nutzer haben.
Was ist Ihnen beim Dozieren wichtig?
Mir geht es darum, dass die Teilnehmenden das Gelernte in ihrem Alltag auch anwenden können. Gleichzeitig möchte ich Inspiration und neue Ideen vermitteln und jeden dazu ermutigen, auch mal eine neue, bisher ungewohnte Perspektive einzunehmen.
Zur Person
Simone Wegelin arbeitet als Lead Service Designerin und Scrum Master bei der der Digitalagentur Liip AG. Sie studierte ursprünglich Betriebswirtschaftslehre und Politikwissenschaften an der Universität Bern. Nach einiger Zeit in der wissenschaftlichen Forschung und Lehre hat sie bei einem Finanzdienstleister mehrere Jahre Innovationsprojekte im Bereich Digital Banking geleitet, bevor sie sich in die Richtung Customer Experience Management und Service Design weiterentwickelte. Die 33-Jährige ist verheiratet und lebt in Bern. In ihrer Freizeit spielt sie Geige in verschiedenen Sinfonieorchestern und macht Yoga. Zudem engagiert sie sich als Mentorin bei Powercoders – der Coding Academy für Flüchtlinge.