Ein neues Weiterbildungsangebot an der FHS St.Gallen zur «Architekturgeschichte und Theorie der Moderne» beleuchtet Städtebau und Architektur ab Mitte des 19. Jahrhunderts bis Ende des 20. Jahrhunderts. Lehrgangsleiter Lukas Zurfluh spricht darüber, welche Jahre dabei besonders prägend waren und weshalb die Architektur keine Kunst für sich ist.
Herr Zurfluh, das neue Weiterbildungsangebot zur «Architekturgeschichte und Theorie der Moderne» fokussiert auf die Zeit zwischen 1850 und 1990. Weshalb genau auf diese 140 Jahre?
In der Architektur- und Kulturgeschichte ist das die Zeit, die im weitesten Sinne als Moderne gilt. Sie bezeichnet einen grossen Umbruch, der unter anderem durch die Industrialisierung herbeigeführt worden ist. Es ist die Zeit, die unsere gebaute Umwelt – so wie wir sie heute wahrnehmen – am meisten geprägt hat. Das Wissen um die Entwicklungen in dieser Epoche ist eine wichtige Basis, ohne die es Architektinnen und Architekten gar nicht möglich wäre, ihr aktuelles Berufsbild zu verstehen.
Welches Alleinstellungsmerkmal bietet der Lehrgang gegenüber den Angeboten anderer Hochschulen?
Das Besondere ist, dass wir uns inhaltlich vertieft einer Epoche widmen. Unter dem Motto «Wie das Neue in die Welt kommt» haben wir – Claudia Kromrei, Katrin Albrecht und ich – eine Vorlesungsreihe konzipiert, in der wir beleuchten, wie Neuerungen vorbereitet werden und wie sie zum Durchbruch gelangen. Der Lehrgang ist um zwei Dreh- und Angelpunkte herum aufgebaut: Es handelt sich dabei um das Jahr 1918, das die Moderne im engeren Sinn einleitete und um das Jahr 1968, das einen gesellschaftlichen Wendepunkt darstellt. Dieser hat sich auch in der Architektur und im Städtebau abgezeichnet. Den gesellschaftlichen und kulturellen Kontext einzubeziehen, ist uns wichtig. Man kann die Architektur nicht isoliert betrachten.
Welche Rolle spielt im Rahmen dieser Weiterbildung die Architektur in der Ostschweiz?
Entwicklungen und Beispiele von Bauten in der Ostschweiz sind durchaus ein Thema. Es geht aber grundsätzlich um regionale und lokale Architekturgeschichte der ganzen Schweiz. Dies immer vor dem Hintergrund des internationalen Geschehens.
Die Weiterbildung steht auch Personen mit privatem Interesse an Architektur offen. Diese können gemeinsam mit Architektinnen und Architekten sowie Stadtplanerinnen und Stadtplanern die Vorlesungsreihe besuchen. Auch Bachelorstudierende sind dort dabei. Was können diese verschiedenen Teilnehmenden voneinander profitieren?
Das hängt davon ab, in welcher der drei Varianten sie am Lehrgang teilnehmen. Es ist zum Beispiel möglich, nur die Vorlesungen zu besuchen. Dann beschränkt sich der Austausch auf die Diskussionen im Plenum. Je nach Variante gibt es aber auch Arbeiten, wo sich der Austausch in Gruppen intensiviert. Idealerweise können die Teilnehmenden aber unabhängig davon ihr Netzwerk erweitern und von neuen Kontakten profitieren.
Was sind Kernelemente, die Sie im Lehrgang vermitteln möchten?
Es ist mir wichtig, dass die Teilnehmenden ein Bewusstsein entwickeln für die Architektur im historischen Sinn, daraus aber auch Schlüsse ziehen können für die zeitgenössische Baukultur. Ziel ist, dass sie danach im Stand sind, aktuelle Projekte vor diesem Hintergrund zu beurteilen oder – je nach beruflicher Einbindung – zu begleiten. Auch möchten wir vermitteln, dass Architektur nicht eine Kunst für sich ist, sondern immer stark an kulturelle und gesellschaftliche Entwicklungen geknüpft ist.
Zur Person
Lukas Zurfluh hat an der ETH Zürich Architektur studiert. Nach einigen Jahren Berufspraxis kehrte er für einen Nachdiplomstudiengang in Geschichte und Theorie der Architektur dorthin zurück. Anschliessend doktorierte er auf demselben Gebiet und nahm gleichzeitig die Tätigkeit als wissenschaftlicher Mitarbeiter an der ETH Zürich auf. Seit 2017 ist der 48-Jährige Dozent für Architekturgeschichte und Theorie an der ArchitekturWerkstatt der FHS St.Gallen.