In Arosa herrscht Aufbruchstimmung. Unter dem Namen «Wir sind Arosa» hat sich ein Team mit Vertretenden verschiedener Interessengruppen gebildet. Ziel ist es, dem gesellschaftlichen und geschäftlichen Treiben in der Gemeinde neues Leben einzuhauchen. Den Anstoss gab das Innovationsprojekt «Attraktives Dorfleben und Detailhandel in Arosa» von Rahel Brocker und Reto Niedermann. Die beiden Studierenden aus dem MAS in Corporate Innovation Management an der FHS St. Gallen haben bei ihren Besuchen in der Bündner Gemeinde festgestellt, dass es keineswegs an Tatkraft und guten Ideen fehlt. Mit Veranstaltungen wie einem Partizipationsworkshop ist es ihnen gelungen, alle Player an einen Tisch zu bringen, um die Kräfte zu bündeln.
In Arosa wird es Touristinnen und Touristen warm ums Herz – ob im Sommer oder Winter. Die 2200-Seelen-Gemeinde auf 1775 Meter über Meer ist nicht nur bekannt für das neu eröffnete «Bärenland», sondern auch für seine Seen, Skipisten und Wanderwege. Eine Seilbahn bringt Erholungssuchende fast das ganze Jahr über in luftige Höhen. Was aber das Dorfleben und den Detailhandel betrifft, steckt Arosa in der Talsohle. Obwohl sich an Spitzentagen in der Hochsaison bis zu 15 000 Personen in der Gemeinde aufhalten, fällt es manch einem lokalen Geschäft schwer, Kundschaft anzulocken. Die Fussgängerfrequenzen auf der Dorfstrasse lassen zu wünschen übrig, man kämpft gegen das «Lädelisterben». Dieses hat bereits zu mehreren Leerständen geführt, welche die Attraktivität der Ortschaft wiederum schmälern.
Welche Faktoren verursachen den schwindenden Detailhandel? Über welches Erfolgsrezept verfügen jene Geschäfte, die ihm noch trotzen können? Und wie gelingt es, gemeinsam eine positive Trendwende einzuleiten, von der die ganze Dorfgemeinschaft profitiert? Mit diesen und anderen Fragen haben sich Rahel Brocker und Reto Niedermann beschäftigt. Die beiden absolvieren den MAS in Corporate Innovation Management an der FHS St. Gallen. Im Rahmen dieser Weiterbildung haben sie das Innovationsprojekt «Attraktives Dorfleben und Detailhandel in Arosa» ausgearbeitet. Der Auftrag kam von der Gemeinde Arosa, die sich mit der Problemstellung an das Institut für Innovation, Design und Engineering der FHS St. Gallen gewandt hatte.
Versteckte «Juwelen»
Um Arosa den Puls zu fühlen, machten sich Rahel Brocker und Reto Niedermann mehrmals auf den Weg in die Bündner Gemeinde. So führten sie vor Ort Gespräche mit lokalen Gewerbetreibenden, Gastronomen, Hoteliers, Tourismusanbietern sowie Vertretenden von Vereinen und Kultureinrichtungen. Dabei fiel den beiden auf, dass gute Ideen und Tatkraft durchaus vorhanden wären, es aber an Koordination und Kooperation fehlt. «Es hat sich zum Beispiel gezeigt, dass die lokalen Geschäfte bisher wenig übereinander wissen, das Sortiment des anderen kaum kennen», sagt Rahel Brocker. So sei es schwierig, einander gegenseitig Kundinnen und Kunden zu vermitteln.
«Es hat sich gezeigt, dass die lokalen Geschäfte bisher wenig übereinander wissen und das Sortiment des anderen kaum kennen.»
Rahel Brocker, Studentin MAS in Corporate Innovation Management
«Von Hoteliers haben wir auch gehört, dass sie sich bei ihren Gästen mit Empfehlungen zu einem Shoppingbummel in Arosa zurückhalten, weil sie sich für den unattraktiven Dorfkern schämen», ergänzt Reto Niedermann. Die vielen leeren Schaufenster sind auch ihm und Rahel Brocker aufgefallen. Ebenso wie einzelne Läden, die kaum auf die veränderten Kundenbedürfnisse reagiert haben. Darunter ein Geschäft, das nur Barzahlung akzeptiert.
«Arosa hat sehr viel Schönes zu bieten, verkauft sich aber unter Wert, weil diese Schönheiten nicht hervorgehoben werden.»
Reto Niedermann, Student MAS in Corporate Innovation Management
Bei einem Dorfrundgang, den die beiden Studierenden im Rahmen ihrer Arbeit mit verschiedenen Anspruchsgruppen durchführten, entdeckten sie aber auch viele versteckte «Juwelen». Damit gemeint sind Geschäfte, die ein ganz besonderes Angebot haben, jedoch wenig bekannt sind. Arosa habe sehr viel Schönes zu bieten, verkaufe sich aber unter Wert, weil diese Schönheiten nicht hervorgehoben würden, sagt Reto Niedermann. «Die Gemeinde befindet sich sozusagen in einem Dornröschenschlaf».
Neutraler Rahmen für den Austausch
Um kreative und innovative Ideen für Arosa zu sammeln, haben Rahel Brocker und Reto Niedermann im August 2019 einen Partizipationsworkshop für die Bevölkerung veranstaltet. Am Anlass nahmen rund 60 Vertreterinnen und Vertreter verschiedener Interessensgruppen teil. Ziel war es, Ideen, Lösungsvorschläge und Anregungen zu konkreten Fragestellungen rund um das Thema «attraktives Dorfleben und Detailhandel in Arosa» zu sammeln und anschliessend zu gewichten. Daraus resultierten schliesslich fünf Aktionsfelder mit konkreten Handlungsvorschlägen.
«Als Aussenstehende konnten wir einen neutralen Rahmen für den Austausch schaffen», sagt Rahel Brocker. Auch ihre eigenen Eindrücke haben die beiden Studierenden geschildert und Massnahmen aufgezeigt, um das Dorf, aber auch den Service der Detailhändler attraktiver zu gestalten. Ihre Aussagen stützten sie unter anderem mit den Erkenntnissen aus einer Trendanalyse, die sie im Vorfeld durchgeführt hatten. Auch Erfahrungen aus anderen Städten und Gemeinden, die sie anhand von Interviews ermittelt hatten, kamen zur Sprache.
Am Partizipationsworkshop blieb auch Raum, Bedenken und Befürchtungen zu den gesammelten Ideen zu äussern. «Wir stellten dabei fest, dass diese oft auf Annahmen beruhten», erinnert sich Reto Niedermann. «Deshalb zeigten wir auf, dass man eine Massnahme auch einfach mal ausprobieren und eine Zeit lang beobachten kann, um dann ihren Einfluss abzuschätzen und zu entscheiden, ob sie Bestand hat.»
Die beiden Studierenden definierten in diesem Zusammenhang sogenannte Quick Wins: Das sind kurzfristig wirksame Vorschläge, die mit minimalem Aufwand umzusetzen sind und zu einem Minimum Viable Product (MVP), einem minimal überlebensfähigen Produkt, weiterentwickelt werden können. Die entsprechende Methode haben Rahel Brocker und Reto Niedermann in ihrer Weiterbildung an der FHS St. Gallen kennengelernt.
Ein Quick Win lautete beispielsweise, das Erscheinungsbild des Dorfes aufzuwerten, in dem die leeren Schaufenster dekoriert werden. Dass dieser Vorschlag bereits umgesetzt ist und Arosa dadurch bereits an Attraktivität gewonnen hat, freut die beiden Studierenden ganz besonders.
Ein «Big Picture» zum Abschied
Für Rahel Brocker und Reto Niedermann ist das Projekt nun abgeschlossen. Dennoch verfolgen sie die weiteren Entwicklungen mit Interesse. «Wir haben ein Sandkorn gestreut», sagt Rahel Brocker. «Damit daraus ein Strand wird, braucht es kontinuierliche Arbeit.» Reto Niedermann ergänzt: «Dass es in Arosa nun so vorangeht, ist das grösste Lob an unsere Arbeit.»
Die beiden haben den Arosern zum Abschied ein Geschenk überreicht: das «Big Picture» aus ihrem Projektbericht, das alle fünf Aktionsfelder auf einem Bild zusammenfasst und deren Inhalte und mögliche Tätigkeitsfelder wiedergibt. Eine Mitstudentin hat es illustriert. Es soll der Gemeinde Arosa dabei helfen, das Ziel nie aus den Augen zu verlieren.
So geht es weiter in der Gemeinde Arosa
Die Aroser Gemeinderätin Yvonne Altmann stand Rahel Brocker und Reto Niedermann als Ansprechperson zur Seite. Sie ist überzeugt, dass das Projekt der beiden FHS-Studierenden massgeblich zur Aufbruchstimmung beigetragen hat. Nicht zuletzt wegen des Partizipationsworkshops mit der Bevölkerung, den sie als «konstruktiv und professionell aufgegleist» erlebt hat. In Arosa gebe es verschiedene, sehr innovative Gruppen, sagt Yvonne Altmann. «Uns war das Wichtigste, diese zusammenzuführen und die Kräfte zu bündeln.» Das sei gelungen.
Als besonders positiv wertet die Gemeinderätin auch, dass die jüngere Generation, die sich vorher eher zurückhaltend zeigte, nun mit im Boot sitzt. Unmittelbar im Anschluss an den Partizipationsworkshop beauftragte die Gemeinde Arosa einen Koordinator mit der Ausarbeitung der Projektideen. Vor kurzem hat sich unter dessen Leitung das Innovationsteam «Wir für Arosa» gebildet. Dieses verfolgt das Ziel, die Handlungsvorschläge, die sich im Rahmen der FHS-Arbeit «Attraktives Dorfleben und Detailhandel in Arosa» herauskristallisiert haben, in konkrete Projekte umzusetzen.