Mark Riklin hat sich selbst eine «Nachrichtendiät» verschrieben. Der Soziologe, freie Journalist und Lehrbeauftragte der FHS St.Gallen konsumiert Medienbeiträge möglichst gezielt. Ein bewusster Umgang mit Medien ist ein Schwerpunkt in seinen Kursen im CAS Medienpädagogik. Im Interview erzählt der 53-Jährige, warum er keine Angst hat, wichtige News zu verpassen, und warum er eine Not-to-do-Liste führt.
Herr Riklin, welche Medienberichte sind Ihnen heute besonders aufgefallen?
In diesen Tagen waren es vor allem Beiträge über den Klimastreik von Schülerinnen und Schülern. Ich finde es beeindruckend, wie ernsthaft sie ihre Anliegen vorbringen. Besonders haften geblieben ist bei mir die Aussage eines Schülers in Bezug auf unentschuldigte Absenzen. Er sagte: «Was nützt mir ein makelloses Zeugnis, wenn ich keine Zukunft habe.» Durch den Klimastreik ist eine neue Bewegung entstanden, die ermutigend ist und Hoffnung aufkommen lässt. In einer Zeit, in der viele über die unpolitische Jugend klagen, sind das ausgesprochene «Good News».
Sie sind ein Anhänger von «Good News». Vor mehr als 15 Jahren haben Sie die Meldestelle für Glücksmomente ins Leben gerufen, eine Plattform für positive Nachrichten. Könnte man das Mediensystem denn nicht auf ausschliesslich positive News umpolen?
Bisher haben Medienprodukte, die nur «Good News» verbreiten, nicht überlebt. «Only bad news are news» scheint ein ungeschriebenes Gesetz, welches nicht nur in den Medien weit verbreitet ist. Viele Leute sprechen ganz allgemein mehr darüber, was schlecht läuft, statt das Gute zu betonen. Es geht ja auch gar nicht darum, Probleme zu negieren. Schade finde ich nur, dass selbst Wissenschaftler oft in der Beschreibung eines Problems stecken bleiben. Meine Devise ist, mindestens die Hälfte der Zeit in dessen Lösung zu investieren.
Ob gute oder schlechte News: Sie besitzen kein Handy und keinen Fernseher. Sind Sie da nicht unterversorgt mit Nachrichten?
Der Autor Rolf Dobelli hat unter dem Titel «Vergessen Sie die News – für eine gesunde Nachrichtendiät» einen wunderbaren Aufsatz geschrieben. Für eine solche Nachrichtendiät habe ich mich entschieden. Das heisst nicht, dass ich mich den Medien gegenüber verschliesse. Vielmehr versuche ich, bewusst auszuwählen, was ich wann und wo in welchem Umfang konsumiere. Den Tag beginne ich mit dem Blättern in der Zeitung, eine Art «Fahrplan-Lesen» der Züge unserer Gesellschaft. Fernseh-Beiträge schaue ich mir gezielt übers Internet an, sobald sie im digitalen Archiv verfügbar sind.
Aber so verpassen Sie ja unter Umständen etwas?
Ja, immer wieder passiert es, dass ich etwas nicht mitbekommen habe. Die Erfahrung zeigt aber, dass mir wichtige News von anderen zugetragen werden. Und wenn ich dann mehr darüber wissen will, kann ich das immer noch recherchieren.
Finden Sie nicht, dass unsere Gesellschaft zu viel Zeit vergeudet mit dem Medienkonsum? Als Landesvertreter des Vereins zur Verzögerung der Zeit setzen sie sich ja schliesslich «für einen gesünderen, menschlichen Umgang mit der Zeit» ein.
Ich will nicht über den Konsum anderer urteilen. Es gibt kein Rezept, das für alle gilt. Aber jeder einzelne kann für sich herausfinden, was ihm Energie gibt und was ihm Energie raubt. Ich persönlich experimentiere mit einer Not-to-do-Liste – eine sehr gute Sache. Man notiert darauf Tätigkeiten, die man aus purer Gewohnheit ausführt, auf die man eigentlich getrost verzichten könnte. Es gibt wohl bei jedem Dinge im Alltag, die vor allem Zeit und Energie rauben, ohne eigentlichen Sinngewinn. Dazu gehört für mich auch der unbewusste Medienkonsum.
Die gedruckte Zeitung ist irgendwann zu Ende gelesen. Mit der Digitalisierung gibt es aber eine unbeschränkte Nachrichtenflut. Sind digitale Medien nicht ein Fluch?
Die digitalen Medien sind Fluch und Segen zugleich. Die Kunst besteht darin, eine gesunde Balance zu finden, die Digitalisierung weder zu verteufeln noch sich ihr zu unterwerfen. Wichtig scheint mir, neben den Gefahren vor allem auch die Chancen zu identifizieren, oft machen digitale Plattformen analoge Begegnungen erst möglich, beispielsweise im Bereich Share Society.
Sie unterrichten im CAS Medienpädagogik die Kurse «Medienerziehung» und «Mediengestaltung». Was sind die Kernelemente darin?
In der Medienerziehung geht es darum, einen möglichst geschickten, bewussten Umgang mit Medien zu entwickeln, in der Mediengestaltung, analoge und digitale Medien erfinderisch zu nutzen. Ein wichtiges Ziel ist, dass die Teilnehmenden ihre Kreativität entdecken und anhand realer Aufgaben einbringen können.
Der CAS Medienpädagogik richtet sich an Personen, die mit beiden Beinen im Beruf stehen. Zum Beispiel Lehrpersonen. Bei den meisten handelt es sich wohl um Digital Immigrants. Ist es für diese nicht schwierig, Digital Natives zu unterrichten?
Bildung verstehe ich als Co-Produktion aller Beteiligten. Wenn es darum geht, die kollektive Intelligenz der Teilnehmenden in Fluss zu bringen, statt in erster Linie die eigene zur Schau zu stellen, ist es sehr erwünscht, dass die Kompetenzen unterschiedlich verteilt sind und sich im Idealfall wunderbar ergänzen. Digital Natives sind oft Experten in der Mediennutzung, Digital Immigrants in der Medienreflexion. Eine günstige Ausgangslage für generationenübergreifendes Lernen.
Ist das auch Ihre Unterrichtsdevise?
Ich sehe es als meine Aufgabe, bei Teilnehmenden Feuer zu entfachen, sie in ihren Ressourcen zu stärken und diese für alle nutzbar zu machen. Die Frage ist nicht nur, was sie von mir lernen und ich von ihnen, sondern auch, was sie voneinander lernen können. Deshalb sehe ich mich immer mehr als Arrangeur und Bühnenbauer von Lernprozessen. Die Teilnehmenden sollen eine Bühne erhalten, um ihre Kompetenzen einzubringen und neue Erfahrungen machen zu können. Ich arbeite seit längerem daran, meine eigene Redezeit zu reduzieren, was mir gar nicht immer leicht fällt.
Sie haben zwei Töchter im Alter von 9 und 11 Jahren. Was wollen Sie diesen im Umgang mit Medien beibringen?
Es ist wohl eine Frage der Zeit, bis die beiden ein eigenes Handy haben. Bis jetzt ist der Wunsch noch nicht aufgekommen. Seit einem Jahr haben wir ein Familien-iPad und nutzen dieses vor allem für Tutorials im gestalterischen Bereich oder für das Produzieren eines Fake-Clips, der unser Umfeld zum Staunen bringt, wenn die beiden Mädchen vom einarmigen Handstand in einen schwebenden Zustand übergehen. Mir ist es wichtig, dass unsere Kinder nicht hinter dem Mond sind, was solche Geräte angeht. Irgendwann werden sie ein eigenes Handy haben. Für mich wohl der ideale Zeitpunkt, mit grosser Verspätung ebenfalls ins Handy-Zeitalter einzusteigen.