Im Interview mit der Handelszeitung spricht FHS-Rektor Sebastian Wörwag über den Flexibilisierungs- und Beschleunigungstrend in der Weiterbildung, über die Nachteile des Microlearnings und über gute Dozierende.
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Dr. Klüger zu Digitalisierung und Weiterbildung
Unser Dr. Klüger beschäftigt sich mit Digitalisierung im Bildungsbereich. Er hat Prof. Dr. Reto Eugster, Leiter des Weiterbildungszentrums der FHS St.Gallen, mit klärenden und brisanten Fragen zu diesem Thema konfrontiert.
Digitalisierung ist auch im Bildungsbereich ein zentrales Leitmotiv. Was bedeutet dies für die Weiterbildung?
Unter dem vagen Begriff der «Digitalisierung» werden unterschiedliche Entwicklungen zusammengefasst. Sozialwissenschaftlich formuliert, geht es um die Technologiegetriebenheit gesellschaftlicher Entwicklungen. Bezogen auf Weiterbildung stehen Flexibilisierung und Individualisierung von Lernprozessen im Mittelpunkt des Interesses. Zudem gewinnen im Zuge der Digitalisierung kollaborative Formen des Lernens an Bedeutung.
Die Digitalisierung ist ein Treiber für Veränderungen, die unseren Alltag insgeamt erfassen.
Es ist vor allem die Selbstverständlichkeit, mit der technologische Entwicklungen unseren Alltag verändern, die bemerkenswert ist. Wir vernetzen, informieren, unterhalten uns nicht nur via Mobile Apps, mehr und mehr nutzen wir via Smartphone künstliche Intelligenz in Form von Assistenten. Ich spreche die Verbreitung von Machine Learning an. Es liegt auf der Hand, dass sich im Zuge dieser Entwicklung auch unser Verständnis von Lehren und Lernen verändert und weiter verändern wird. Wir sind am Anfang, nicht am Ende dieser Entwicklung.
Werden bisherige, altgediente Weiterbildungsformate dadurch in Frage gestellt?
Teilweise, ja. Das höre ich in zahlreichen Gesprächen mit Partnern aus der Wirtschaft, aber auch in Beratungsgesprächen mit Interessentinnen und Interessenten. Weiterbildung soll die Individualität von Karrieren und Lernpfaden berücksichtigen. Angesichts der «bunter» werdenden Biografien kann von einer Standardlaufbahn nicht mehr ausgegangen werden. Firmen wiederum erwarten Weiterbildungen, die flexibel nutzbar sind sowie die sozialen Kompetenzen der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter fördern. Die Standardfrage aus den Unternehmen lautet: Ist im Zeitalter der Digitalisierung tatsächlich so viel Präsenz nötig?
Verliert der Präsenzunterricht an Bedeutung?
Nein, im Gegenteil. Es mag paradox klingen, aber er gewinnt an Bedeutung. Allerdings wird er sich fundamental verändern müssen. Präsenzunterricht wird sich verstärkt über die Qualität von Interaktion, über dialogische Aspekte, zu bewähren haben. Die Fälle, in denen sich eine Anreise an einen Schulungsort rechtfertigt, um ToDos einer Powerpoint-Präsentation abzuarbeiten, werden rar: Heute lässt sich via YouTube meistens jemand finden, der das besser kann. Als Weiterbildungszentrum arbeiten wir engagiert und erfolgreich an der Qualität der Präsenzlehre.
Also steht beim Präsenzunterricht der Aspekt der sozialen Kompetenz im Vordergrund…
… Die Arbeitswelt verändert sich nicht nur im Hinblick auf neue Technologien. Damit einher geht die wachsende Bedeutung von Wissensarbeit, von kollaborativen Arbeitsformen, von Teamorientierung, Interkulturalität und von Modellen der Führungs-Topografie, bei denen informelle Führungspotenziale berücksichtigt werden. Wir leben in der Zeit der post-heroischen Organisation, wie Dirk Baecker sagt. Gefragt sind nicht die Management-Heroen, sondern die intelligenten «Vernetzer». Damit verbunden sind höhere Ansprüche an die soziale Kompetenz von Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern. Der produktive Umgang mit Konflikten in wechselnden Teamkonstellationen wird zu einem Schlüsselkriterium. Unabhängig von einer betrieblichen Funktion, wird Konfliktfähigkeit erwartet und Empathie vorausgesetzt: Soziale Kompetenzen, die zu oft in den «toten Winkel» von Weiterbildungen verschoben sind.
Wie könnten diese neuen Lernformate aussehen?
Nur ein Beispiel. Es gibt in Unternehmungen, insbesondere bei Führungskräften, einen ausgewiesenen Bedarf an so genannten Reflexionsräumen, an Möglichkeiten, Führungshandeln zu reflektieren. Solche Reflexionszirkel müssen «gerahmt», die Betroffenenperspektive mit verlässlicher Expertise verbunden werden. Erwartet wird mehr und vor allem etwas anderes als Alltagsweisheit oder Rezeptwissen. Erwartet wird eine Expertise, die sich eindeutig vom blossen Ratschlag und von der Trivialaussage unterscheidet. Beispielsweise wird beim Umgang mit Konflikten wissenschaftliche Erkenntnis praxisrelevant. Die Tipps vom Kollegen gibt es auch in Konfliktsituationen kostenlos und über «den gesunden Menschenverstand» glauben alle selber zu verfügen. Aber das reicht offensichtlich nicht.
Könnte behauptet werden, «Digitalisierung» sei nur ein Aspekt einer grösseren Entwicklung?
Gesellschaftliche Entwicklungen verlaufen nie nur in eine Richtung. Sie verlaufen stets als Trend und Gegentrend. Die Arbeitswelt wird kurzatmiger getaktet, gleichzeitig gibt es den Trend zum Slow Learning. Rationales Aspekte des Lernens gewinnen an Bedeutung, aber sie fördern auch die Notwendigkeit, Emotionen zu pflegen. Die Notwendigkeit, vor allem in Schulräumen zu lernen, nimmt ab. Lernen wird echtzeitunabhängig möglich, ich selber bestimme Orte des Lernens. Doch gleichzeitig ist soziale Kompetenz gefordert. Und diese ist in gewissen Graden an Echtzeit gebunden und auf die Verbindlichkeit von Anwesenheit angewiesen. Trend und Gegentrend führen in die Lernzukunft und das verlangt die Bereitschaft, sich auf Ambivalenz einzulassen.
Dr. Klüger und der Titeldschungel
Eidg. Dipl., eidg. FA, BSc, MAS, HF, FH… es herrscht ein wahrer Dschungel an möglichen Abschlüssen und Titel in der Bildungslandschaft Schweiz. Wer soll all das noch verstehen? Das Wichtigste vorab: so kompliziert ist das gar nicht.
Das Bildungssystem in der Schweiz ist in drei Stufen eingeteilt. In die obligatorische Schulzeit (Primärstufe), in die berufliche oder schulische Grundbildung (Sekundärstufe) und schliesslich die höher Berufs- und Schulbildung (Tertiärstufe). Damit habe ich auch grad gezeigt, dass es in der Schweiz einen dualen Bildungsweg gibt: einerseits über die Berufsbildung, andererseits über ein Studium. Wer sich für eine Berufslehre entscheidet erlangt nach drei oder vier Jahren Ausbildungszeit ein eidgenössisches Fähigkeitszeugnis. Nach einigen Jahren im Beruf kann darauf aufbauend eine Berufsprüfung (eidg. Fachausweis) oder eine Höhere Fachprüfung (eidg. Diplom) absolviert werden. Zudem bieten Höhere Fachschulen (HF) Weiterbildungen an. Ausserdem kann man während der Berufslehre oder im Anschluss daran, die Berufsmaturität (BMS) erlangen und erhält so Zugang zu Fachhochschul-Studiengängen. Berufserfahrene mit einem HF-Abschluss oder einem eidgenössischen Diplom sind ebenfalls an eine Fachhochschule zugelassen. Dort steht ihnen eine vielfältige Palette an Zertifikatslehrgängen (CAS = Certificate of Advanced Studies), Diplomlehrgänge (DAS = Diploma of Advanced Studies) und Weiterbildungsmaster (MAS = Master of Advanced Studies) zur Verfügung, um sich als Fach- oder Führungsperson weiterzuentwickeln. Der «höchste» Abschluss ist der Executive MBA für Personen mit mehrjähriger Berufs- und Führungserfahrung, die im Management auch strategische Aufgaben wahrnehmen.
Wer den schulischen oder studentischen Weg einschlägt, besucht nach der obligatorischen Schulzeit eine Fachmittelschule oder eine Gymnasiale Maturitätsschule. Mit der Matura „im Sack“ hat man Zugang zu Fachhochschulen und Universitäten oder zur ETH. Der Erstausbildung schliesst mit einem Bachelor (BSc) ab. Darauf baut das konsekutiv Masterstudium auf (MSc). Wer an einer Uni studiert hat zudem die Möglichkeit zu Doktorieren (PhD).
Egal, welchen Weg Sie einschlagen, ich wünsche Ihnen viel Freude und Erfolg beim Lernen!
Ihr Dr. Klüger
PS: Diese Grafik von www.ausbildung-weiterbildung.ch veranschaulicht das Bildungssystem Schweiz und erklärt die unterschiedlichen Bildungswege visuell.