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Wie reagieren, wenn Gefahr in der (Arbeits-) Umgebung droht?

Karl Weilbach beschäftigt sich als Diplom-Kriminologe und forensischer Prognostiker seit nahezu 30 Jahren mit meist schweren Formen zwischenmenschlicher Konflikte, Bedrohungen und Gewalthandlungen bis hin zu Mehrfachtötungen. Zusammen mit dem diplomierten Medienwissenschaftler, Daniele Lenzo, leitet er das Seminar Bedrohungsmanagement an der FHS St.Gallen. Was ist Bedrohungsmanagement überhaupt? Worum geht es? 

Dr. phil. Karl Weilbach

Wie heisst Bedrohungsmanagement?
Karl Weilbach: Das Wort sagt es eigentlich schon: managen von Bedrohungen. Wobei mit «managen» der fachkundige und umsichtige Umgang mit Bedrohungen und die Abwendung von Gewalthandlungen gemeint ist.  Ausgangspunkt für den Eintritt in den Prozess des Bedrohungsmanagements sind meist «mulmige Gefühle». Zunächst kann es sich nur um ein subjektives Unsicherheitsgefühl von Betroffenen handeln, die in einen Konflikt involviert sind und über ihr Irritiert-Sein berichten. Die Betroffenen nehmen meist verbale und nonverbale Gesten und Botschaften bei einer anderen Person war, die mulmige Gefühle oder erste Befürchtungen aufkommen lassen. Diese Ängste gilt es ernst zu nehmen.
Hierauf stellt sich die Frage, ob in einem bestimmten Fall eine bedrohliche Situation oder eine Drohung überhaupt vorliegt. Rechtlich gesehen wäre eine Drohung dann gegeben, wenn jemand durch schwere Drohung in Schrecken oder Angst versetzt wird. Die Drohung ist oft kombiniert mit einem anderen Vergehen gegen die Freiheit, nämlich der Nötigung. Hier wird eine betroffene Person oder Institution in der Handlungsfreiheit beschränkt. Es werden ihr ernstliche Nachteile oder Gewalthandlungen angedroht, damit die Betroffenen etwas Bestimmtes tun, unterlassen oder dulden. Auf einer nächsten Eskalationsstufe können die Betroffenen von Verbrechen gegen Leib und Leben bedroht sein. Im Bedrohungsmanagement wird deshalb immer das Risiko zielgerichteter Gewalt mitgedacht.

Ziel des Bedrohungsmanagements ist, die gewaltnahe Situation einzuschätzen, die Gefahren wahrzunehmen, zu beurteilen und abzuwenden.

Das alles kann aber kaum eine Person alleine bewältigen, oder?
Richtig, den Bedrohungsmanager gibt es nicht. Eine Person alleine kann die wichtigen Elemente des Bedrohungsmanagements nicht wahrnehmen. Ein Selbstimage als Held, als Mann/Frau fürs Grobe oder als SuperhelferIn wäre völlig fehl am Platze.
Bedrohungsmanagement ist Teamwork. Es ist meist eine interdisziplinäre Gruppe, die um angemessene Einschätzungen und Interventionen bemüht ist. Beispielsweise gehören bei der sog. «Workplace-Violence», also der Gewalt am Arbeitsplatz, einem Bedrohungsmanagement-Team meist klar definierte interne Verantwortungsträger einer Firma oder Behörde ebenso an wie externe Fachpersonen, insbesondere aus Psychologie, Forensik, Sozialarbeit und Polizei.
Eine wesentliche Voraussetzung dafür, dass Gewaltentwicklungen durch das sog. Bedrohungsmanagement klar eingedämmt werden, ist die gelingende interdisziplinäre Kooperation und Vernetzung.

Welches sind denn die Haupt-Elemente des Bedrohungsmanagements?
Als Erstes muss man den Konflikt oder die Bedrohung erkennen. Diese Situation muss zweitens richtig beurteilt und eingeschätzt werden; es wird definiert, ob und in welcher Art eine Bedrohung oder eine Gefährdung besteht. Schliesslich muss man die bestehenden Risiken einer erwartbaren zielgerichteten Gewalt entschärfen. Häufig müssen solche Klärungs- und Handlungsprozesse relativ schnell passieren. Das alles erfolgt zumeist durch die Nutzung aller Ressourcen, die eine interdisziplinäre Gruppe bietet. Erfolgt schliesslich eine Intervention und ist fürs Erste eine Gefährdung abgemildert, bedarf es der Aufrechterhaltung des Case Managements. Gerade auch der Beobachtungsrahmen gegenüber dem sogenannten Gefährder muss langfristig gewährleistet sein. Ohne die Anbindung an Instanzen von Kontrolle und Hilfe besteht die Gefahr, dass der Gefährder über kurz oder lang wieder Groll in sich aufbaut und es an anderer Stelle wieder zu Bedrohungen oder zielgerichteter Gewalt kommt.
Ein Ziel des Bedrohungsmanagements sehe ich darin, dass es uns gelingen sollte, Drohungen, Bedrohungslagen und die Gefahr von zielgerichteter Gewalt deutlich zurückzuschrauben. Darüber hinaus sehe ich es als wichtig an, dass wir das Bedrohungsmanagement in ein produktives Konfliktmanagement «zurückführen». Wünschenswert wäre, den (vormaligen) Droher oder Gefährder nach der Interventionsphase wieder in produktive Lösungsprozesse zu integrieren. Wir würden ihn damit wieder am Wert von gesellschaftlicher Partizipation und Mitwirkung teilhaben lassen. Mit Hilfe von Inklusion wäre das Management von Bedrohungen und das Management von Konflikten wohl nachhaltiger, als es rein repressive Massnahmen sein können. In diesem Sinne können auch die Deradikalisierungsprogramme für extremistische Jugendlichen betrachtet werden.

Und in Ihrem Seminar gehen Sie auf diese Kernpunkte des Bedrohungsmanagements ein? Was können die Teilnehmenden konkret aus dem Seminar mitnehmen?
Ja, das Seminar vermittelt den Teilnehmenden mehr Einschätzungssicherheit und grundsätzliche Handlungsmöglichkeiten. Zu beachten ist, dass jeder «Fall» individuell ist. Was beispielsweise gehört noch in den Normalbereich eines Konflikts unter bestimmten Menschen, wo fängt die Grenzüberschreitung an, wo erzeugt der Akteur bewusst Angst, inwiefern gibt es schon eine gewaltnahe Vorgeschichte? Wenn jemand beispielsweise damit droht, dass er mit seiner Waffe vorbeikomme und die Kollegen dann schon sehen würden, was von der Firma noch übrig bleibe, dann könnten wir das zunächst wohl als einen strafrechtlichen Tatbestand betrachten. Andererseits sind es gerade auch die dynamischen Aspekte, die hinter einem solchen Tun stehen und über die weitere Entwicklung des Falles entscheiden: Um welche Persönlichkeit handelt es sich beim Gefährder? Welche Situationen lösen seine Aggressionsbereitschaft? Welche Hemmschwellen baut er ab? Welche Interaktionen und Interventionen können seine Gewaltbereitschaft «triggern»? Wie erfolgt die Risikoeinschätzung, wie lange ist diese gültig bzw. wann muss diese wiederholt werden? Bei wem liegt das Case Management, wer trägt für welchen Bereich Verantwortung – und wie lange? Welche Interventionen und Begleitungen können produktiv, welche kontraproduktiv wirken? Braucht es auch Anstrengungen des gesellschaftlichen Umfelds, die in der Bewältigung des Einzelfalls hilfreich wären? Das sind nur einige Fragen, die darauf hindeuten, in welche dynamischen Prozesse wir uns hineinbegeben, wenn wir ein wirksames Bedrohungsmanagement in Gang setzen wollen. Die Nachhaltigkeit des Bedrohungsmanagements stützt sich letztlich auf höchste Konzentration und auf den «langen Atem», den alle Beteiligten aufbringen müssen.

Wie arbeiten Sie im Seminar? In nur zwei Tagen müssen Sie ja sehr viel Fachwissen vermitteln?
Wir werden gemeinsam Fälle studieren und beispielsweise auch schriftliche Drohungen analysieren. Die Teilnehmenden werden in unseren zwei Seminartagen darin eingeführt, durch die Anwendung von richtigen Fragen und Parametern verschiedene Bedrohungszenarien einzuschätzen. Wir werden verschiedene Aspekte und Anwendungsinstrumente beleuchten: zu Gewalt am Arbeitsplatz, zur Entwicklung von sog. Amoktaten, zur Gewalt im Namen der Ehre oder auch – was der Schwerpunkt meines Kollegen Daniele Lenzo sein wird – in Bezug auf Radikalisierungsprozesse von jugendlichen Extremisten. Mehr dazu erfahren Interessierte im Seminar.

Näheres zu Karl Weilbach und seiner Arbeit finden Sie unter www.bedrohungsmanagement.ch.

Konflikte haben einen zu schlechten Ruf

Nach Möglichkeit werden Konflikte vermieden und dort, wo dies nicht (mehr) gelingt, schlägt der Konflikt rasch in Streit um. Dabei erfüllen Konflikte durchaus wichtige Aufgaben und sind vor diesem Hintergrund sinnvoll. Beispielsweise zeigen sie einen Veränderungsbedarf an. In Unternehmen wird durch Konflikte deutlich, wo Stellenprofile geschärft werde sollten, wo Hierarchien problematisch sein könnten oder welche Teamkonstellation ungünstig ist usw. In Liebesbeziehungen verweisen Konflikte auf «versteckte» Enttäuschungen, die auf der «Vorderbühne» der Beziehung thematisiert werden wollen.

Prof. Dr. Reto Eugster, Leiters der Masterprogramme (MAS und MSc) in Psychosozialer Beratung, hat mir sieben Tipps und Tricks für den Umgang mit Konflikten verraten:

Tipp 1: Konflikte normalisieren
Kommunikation ist grundsätzlich konfliktanfällig. Akzeptiere Konflikte als Normalfall der Kommunikation.

Tipp 2: Keine Ursachensuche, Konzentration auf aktuelle Interessen
Ist ein Konflikt in Gang gekommen, lohnt sich die Ursachensuche in der Regel nicht. Wichtiger ist es, sich rasch auf die aktuellen Interessen der Beteiligten zu konzentrieren und ein Panorama möglicher Interessenausgleiche zu entwickeln.

Tipp 3: Feedbacks konkret und situativ
Akzeptiere nur Feedbacks, die konkret, nachvollziehbar und in der Situation, also zeitnah, gegeben werden.

Tipp 4: Pausen können deeskalieren
Plane bei Konfliktgesprächen vorgängig (!) Pausen ein. Pausen bieten die Möglichkeit der Unterbrechung eskalativer Sequenzen («Endlosschlaufen»)  und sind häufig die besten Deeskalatoren.

Tipp 5: Wünsche statt Vorwürfe
Formuliere Vorwürfe in konkrete Wünsche um.

Tipp 6: Konflikte begrenzen
Nicht jeder Konflikt ist lösbar und nicht immer ist es sinnvoll, Konflikte zu lösen. Nutze Wege und Formen, Konflikte zu begrenzen. Zeitlich ist dies beispielsweise durch Moratorien möglich, inhaltlich durch eine Begrenzung auf ausgewählte Streitthemen und sozial durch die Vereinbarung von Regelungen zur Verschwiegenheit.

Tipp 7: Vermittlung bei fortgeschrittenen, festgefahrenen Konflikten
Tendiert ein Konflikt zu chronischer Eskalation, ist eine externe, neutrale Vermittlung zielführend. In der Regel empfiehlt sich eine professionelle Variante.

In diesem Sinne wünsche ich Ihnen konstruktive Konflikte!

Ihr Dr. Klüger

(Aus dem Referat mit dem selben Titel, Reto Eugster, 2016, Kompaktseminar Konfliktmanagement)