Schlagwort-Archive: Präsenzunterricht

Kontaktunterricht punktet in puncto Interaktion

Das Weiterbildungszentrum der FHS St.Gallen hat Studierende und Dozierende verschiedener Studien- und Lehrgänge zu ihren Erfahrungen mit Distance Learning befragt. Was das Erarbeiten von Lerninhalten betrifft, bekommt der Online-Unterricht gute Noten. In Sachen Austausch und Netzwerk schneidet der Kontaktunterricht jedoch deutlich besser ab.

Distance Learning hat während der Coronakrise mehr denn je Schule gemacht. Auch die Weiterbildungen der FHS St.Gallen spielten sich aufgrund des Präsenzverbots während fast drei Monaten im virtuellen Raum ab. Studierende und Dozierende fanden sich in dieser Zeit auf Online-Plattformen wie Microsoft Teams, Zoom oder Whereby zum Unterricht ein. Zudem standen digitale Materialien wie Lernvideos oder Powerpoint-Präsentationen mit integrierten Audioaufnahmen zur individuellen Bearbeitung bereit.

Im Rahmen einer schriftlichen anonymen Umfrage wollte das Weiterbildungszentrum der FHS St.Gallen einen Eindruck davon bekommen, wie Studierende und Dozierende das Distance Learning erlebt haben. Angeschrieben wurden diejenigen, die bereits eine Weiterbildung begonnen hatten und so einen direkten Vergleich zum Kontakt- beziehungsweise Präsenzunterricht ziehen konnten. 123 Studierende und 22 Dozierende nahmen an der Umfrage teil.

«Effizienten» und «fokussierten» Ablauf gelobt

Insgesamt fühlte sich die Mehrheit der Studierenden in Zeiten des Distance Learning «eher gut» oder «sehr gut» im Lernen unterstützt. Über die Hälfte gab an, die Inhalte bei Videokonferenzen «gleich gut», «besser» oder sogar «viel besser» erarbeitet zu haben als während des Kontaktunterrichts. Mehrere Studierende lobten den «effizienten» und «fokussierten» Ablauf des Online-Unterrichts, den sie teils dem Umstand verdankten, zuhause weniger abgelenkt gewesen zu sein als in einem Raum mit Mitstudierenden. Eine Person hielt beispielsweise fest: «Das private Umfeld ermöglichte mir, mich sehr konzentriert auf die Lerninhalte einzulassen». Wieder andere erwähnten positiv, dass aufgrund der wegfallenden Anreise mehr Zeit und Energie zum Lernen blieb.

Ausserdem schätzten die Befragten, dass durch den Online-Unterricht sämtliche Inhalte, aber auch dazugehörige Erläuterungen und Diskussionsbeiträge digital verfügbar waren und so individuell nachbearbeitet werden konnten. «Mir hat es geholfen, aufgezeichnete Settings nochmals nachschauen zu können», lautete eine Antwort in diesem Zusammenhang.  

Gespräche zwischendurch fehlen

Wie sich in der Umfrage jedoch deutlich zeigte, konnte der Online-Unterricht in Sachen Erfahrungsaustausch und Netzwerk nicht mit dem Kontaktunterricht mithalten. Einige Studierende vermerkten, die persönlichen Interaktionen und Diskussionen mit anderen Studierenden und Dozierenden vor Ort hätten ihnen gefehlt. Nicht zuletzt, weil gemeinsame Pausen in der Mensa und Cafeteria, die den ungezwungenen, informellen Austausch fördern, weggefallen seien. «Die Gespräche zwischendurch kommen auf keiner Folie vor, sind aber für eine Weiterbildung sehr wichtig», brachte es eine Person auf den Punkt.

Auch der Transfer der Unterrichtsinhalte in die Berufspraxis funktionierte den Umfrageergebnissen zufolge weniger gut als zuvor. Zwar antwortete rund die Hälfte, die Unterstützung des Transfers sei «etwa gleich» wie im Kontaktunterricht. Knapp 40 Prozent beurteilen diese aber als «eher geringer» oder «viel geringer».

Bei den Dozierenden zeigte sich in der Umfrage ein ähnliches Bild wie bei den Studierenden. Sie bezeichneten Distance-Learning-Formate in Bezug auf das Erarbeiten von Lerninhalten grossmehrheitlich als «eher gut geeignet» oder «sehr gut geeignet». Hingegen wurde mehrmals betont, dass Austausch, Diskussion und Interaktion im Online-Unterricht zu kurz kommen.

Gute Mischung erwünscht

Die Situation rund um Covid-19 hat den Digitalisierungsprozess an Hochschulen befeuert. Das Weiterbildungszentrum der FHS St.Gallen hat sich bereits vor der Krise stark mit digitalen Lehr- und Lernformen beschäftigt und konnte angedachte Projekte rasch umsetzen. Obschon man im Distance Learning grosses Potential sieht, soll der Präsenzunterricht auch in Zukunft die Hauptrolle spielen. Dies, weil der persönliche Austausch und das daraus entstehende Netzwerk, aber auch der Transfer der Lerninhalte in die Praxis zentrale Aspekte einer Weiterbildung sind. Digitale Lehr- und Lernformen sollen als sinnvolle Ergänzung zum Zug kommen. Wie die Umfrage gezeigt hat, entspricht das auch durchaus dem Bedürfnis der Studierenden. Während Einzelne sich komplett für oder gegen Distance Learning aussprechen, gibt es eine beachtliche Zahl solcher, die sich eine gelungene Mischform aus Online- und Kontaktunterricht wünschen.

«Die Krise wird die Weiterbildung nachhaltig verändern»

Innovative digitale Unterrichtsformen einerseits, massive Umsatzeinbussen und rückgängige Anmeldungszahlen andererseits: die aktuelle Situation wirkt sich unterschiedlich, aber in jedem Fall einschneidend auf die Weiterbildungslandschaft aus. Bernhard Grämiger ist als Direktor des Schweizerischen Verbands für Weiterbildung (SVEB) nah am Puls der Branche. Im Interview spricht er darüber, inwiefern die Krise die Digitalisierung der Angebote vorantreibt, welche Herausforderungen nach dem Lockdown anstehen und weshalb genau jetzt der richtige Zeitpunkt ist, um sich weiterzubilden.

Herr Grämiger, wie steht es angesichts der aktuellen Krise um die Weiterbildung in der Schweiz?

Das achtwöchige Verbot von Präsenzveranstaltungen hat die Weiterbildungsbranche hart getroffen. Zwar haben einige Anbieter schnell reagiert und ihre Lehrgänge und Kurse digital durchgeführt. Doch der Anteil jener, die auf Online-Unterricht umgestellt haben, wird überschätzt. Wir gehen davon aus, dass er unter 50 Prozent liegt.

Weiterlesen

Weiterbildung bleibt trotz ausserordentlicher Lage im Takt

Die Coronakrise legt viele Bereiche des öffentlichen Lebens lahm. Auch Bildungseinrichtungen stehen vor grossen Herausforderungen, da Präsenzveranstaltungen untersagt sind. Die Weiterbildungen an der FHS St.Gallen können trotz ausserordentlicher Lage gemäss Terminplan stattfinden – via Distance Learning.

Noch ein Schluck Kaffee und dann ab ins Klassenzimmer – ins digitale Klassenzimmer. Die Weiterbildungsteilnehmenden der FHS St.Gallen treffen sich dieser Tage nicht im Fachhochschulzentrum direkt am Bahnhof St.Gallen, sondern auf Microsoft Teams, Whereby oder anderen Online-Plattformen. Seit der Bund aufgrund der Coronakrise Präsenzveranstaltungen untersagt hat, findet der Unterricht im Rahmen von Distance Learning statt. Dank einer Vielzahl an Tools und Plattformen bieten sich zahlreiche Möglichkeiten, um neues Wissen zu vermitteln beziehungsweise zu erarbeiten sowie Fragen und Ergebnisse in der Gruppe zu diskutieren.

Weiterlesen

Dr. Klüger zu Digitalisierung und Weiterbildung

Unser Dr. Klüger beschäftigt sich mit Digitalisierung im Bildungsbereich. Er hat Prof. Dr. Reto Eugster, Leiter des Weiterbildungszentrums der FHS St.Gallen, mit klärenden und brisanten Fragen zu diesem Thema konfrontiert. 

Digitalisierung ist auch im Bildungsbereich ein zentrales Leitmotiv. Was bedeutet dies für die Weiterbildung?

Unter dem vagen Begriff der «Digitalisierung» werden unterschiedliche Entwicklungen zusammengefasst. Sozialwissenschaftlich formuliert, geht es um die Technologiegetriebenheit gesellschaftlicher Entwicklungen. Bezogen auf Weiterbildung stehen Flexibilisierung und Individualisierung von Lernprozessen im Mittelpunkt des Interesses. Zudem gewinnen im Zuge der Digitalisierung kollaborative Formen des Lernens an Bedeutung.

Die Digitalisierung ist ein Treiber für Veränderungen, die unseren Alltag insgeamt erfassen.

Es ist vor allem die Selbstverständlichkeit, mit der technologische Entwicklungen unseren Alltag verändern, die bemerkenswert ist. Wir vernetzen, informieren, unterhalten uns nicht nur via Mobile Apps, mehr und mehr nutzen wir via Smartphone künstliche Intelligenz in Form von Assistenten. Ich spreche die Verbreitung von Machine Learning an. Es liegt auf der Hand, dass sich im Zuge dieser Entwicklung auch unser Verständnis von Lehren und Lernen verändert und weiter verändern wird. Wir sind am Anfang, nicht am Ende dieser Entwicklung.

Werden bisherige, altgediente Weiterbildungsformate dadurch in Frage gestellt?

Teilweise, ja. Das höre ich in zahlreichen Gesprächen mit Partnern aus der Wirtschaft, aber auch in Beratungsgesprächen mit Interessentinnen und Interessenten. Weiterbildung soll die Individualität von Karrieren und Lernpfaden berücksichtigen. Angesichts der «bunter» werdenden Biografien kann von einer Standardlaufbahn nicht mehr ausgegangen werden. Firmen wiederum erwarten Weiterbildungen, die flexibel nutzbar sind sowie die sozialen Kompetenzen der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter fördern. Die Standardfrage aus den Unternehmen lautet: Ist im Zeitalter der Digitalisierung tatsächlich so viel Präsenz nötig?

Verliert der Präsenzunterricht an Bedeutung?

Nein, im Gegenteil. Es mag paradox klingen, aber er gewinnt an Bedeutung. Allerdings wird er sich fundamental verändern müssen. Präsenzunterricht wird sich verstärkt über die Qualität von Interaktion, über dialogische Aspekte, zu bewäh­ren haben. Die Fälle, in denen sich eine Anreise an einen Schulungsort rechtfertigt, um ToDos einer Powerpoint-Prä­sen­tation abzuarbeiten, werden rar: Heute lässt sich via You­Tube meistens jemand finden, der das besser kann. Als Weiter­bildungszentrum arbeiten wir engagiert und erfolgreich an der Qualität der Präsenzlehre.

Also steht beim Präsenzunterricht der Aspekt der sozialen Kompetenz im Vordergrund…

… Die Arbeitswelt verändert sich nicht nur im Hinblick auf neue Technologien. Damit einher geht die wachsende Bedeutung von Wissensarbeit, von kollaborativen Arbeitsformen, von Team­­orientierung, Interkulturalität und von Modellen der Führungs-Topografie, bei denen informelle Führungs­po­ten­ziale berücksichtigt werden. Wir leben in der Zeit der post-heroischen Organisation, wie Dirk Baecker sagt. Gefragt sind nicht die Management-Heroen, sondern die intelligenten «Ver­netzer». Damit verbunden sind höhere Ansprüche an die soziale Kompe­tenz von Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern. Der pro­duktive Umgang mit Konflikten in wechselnden Team­kon­stellationen wird zu einem Schlüsselkriterium. Unabhängig von einer betrieblichen Funktion, wird Konfliktfähigkeit er­wartet und Empathie vorausgesetzt: Soziale Kompetenzen, die zu oft in den «toten Winkel» von Weiter­bildungen verschoben sind.

Wie könnten diese neuen Lernformate aussehen?

Nur ein Beispiel. Es gibt in Unternehmungen, insbesondere bei Führungskräften, einen ausgewiesenen Bedarf an so ge­nann­ten Reflexionsräumen, an Möglichkeiten, Führungs­handeln zu reflektieren. Solche Reflexionszirkel müssen «gerahmt», die Betroffenenperspektive mit verlässlicher Expertise verbunden werden. Erwartet wird mehr und vor allem etwas anderes als Alltagsweisheit oder Rezeptwissen. Erwartet wird eine Ex­pertise, die sich eindeutig vom blossen Ratschlag und von der Trivialaussage unterscheidet. Beispielsweise wird beim Um­gang mit Konflikten wissenschaftliche Erkenntnis praxis­re­le­vant. Die Tipps vom Kollegen gibt es auch in Konflikt­situa­tionen kostenlos und über «den gesunden Menschen­verstand» glauben alle selber zu verfügen. Aber das reicht offensichtlich nicht.

Könnte behauptet werden, «Digitalisierung» sei nur ein Aspekt einer grösseren Entwicklung?

Gesellschaftliche Entwicklungen verlaufen nie nur in eine Richtung. Sie verlaufen stets als Trend und Gegentrend. Die Arbeitswelt wird kurzatmiger getaktet, gleichzeitig gibt es den Trend zum Slow Learning. Rationales Aspekte des Lernens gewinnen an Bedeutung, aber sie fördern auch die Notwendigkeit, Emotionen zu pflegen. Die Notwendigkeit, vor allem in Schulräumen zu lernen, nimmt ab. Lernen wird echtzeitunabhängig möglich, ich selber bestimme Orte des Lernens. Doch gleichzeitig ist soziale Kompetenz gefordert. Und diese ist in gewissen Graden an Echtzeit gebunden und auf die Verbindlichkeit von Anwesenheit angewiesen. Trend und Gegentrend führen in die Lernzukunft und das verlangt die Bereitschaft, sich auf Ambivalenz einzulassen.