Andrea Kobleder gehört unter den Dozierenden der FHS St.Gallen zweifelsfrei zu den Jüngsten. Die 30-Jährige, die vor kurzem ihre Doktorarbeit an der Universität Wien abgeschlossen hat, arbeitet seit rund fünf Jahren an der Hochschule. Angefangen hat sie als Praktikantin. Heute leitet sie den Weiterbildungsmaster MAS in Palliative Care. Im Interview spricht die gebürtige Österreicherin über Studierende als Sprachrohr und darüber, was die Wiener und die St.Galler voneinander lernen könnten.
Frau Kobleder, Sie leiten neu den MAS in Palliative Care an der FHS St.Gallen. Weshalb interessiert sich jemand, der vor wenigen Wochen 30 Jahre jung geworden ist, für ein Thema, das vor allem Betagte betrifft?
Man kann nicht pauschal sagen, dass die Palliative Care nur ältere Menschen etwas angeht. Sie kommt bei sämtlichen chronischen, unheilbaren Krankheiten zum Einsatz, an denen auch jüngere Patientinnen und Patienten leiden: zum Beispiel bei der Nervenkrankheit ALS oder bei gynäkologischen Tumorerkrankungen, von denen schon 25jährige Frauen betroffen sein können. Und nicht zuletzt wendet man die Palliative Care auch bei Kindern an, beispielsweise bei solchen, die an Krebs erkrankt sind.
Und was fasziniert Sie an diesem Gebiet?
Ich finde das Thema deswegen so spannend, weil die Palliative Care weg geht von einem reinen Fokus auf die Erkrankung und hin zu einer ganzheitlichen Betrachtungsweise des Menschen und seines Umfelds. Im Zentrum steht die Lebensqualität des einzelnen – für mich ein bedeutender Ansatz in der medizinischen und pflegerischen Versorgung.
Der Bund hat eine nationale Strategie verabschiedet, mit dem Ziel, die Palliative Care im schweizerischen Gesundheits- und Sozialwesen zu verankern und den Bürgern flächendeckend den Zugang zu Versorgungsplätzen zu gewähren. Spürt man das?
Es hat eine enorme Entwicklung stattgefunden. Gerade, wenn man bedenkt, dass die letzte Lebensphase und Aspekte rund um Sterben, Tod und Trauer gesellschaftlich lange Tabuthemen waren. Trotzdem gibt es noch Lücken in der flächendeckenden Versorgung mit Palliative-Care-Angeboten, etwa zu wenige Hospize.
Was kann der FHS-Weiterbildungsmaster in Palliative Care an dieser Situation verbessern?
Unser Auftrag ist es, den Teilnehmenden einen Rucksack mit den vielseitigen Kompetenzen mitzugeben, die es in der Palliative Care braucht. So müssen sie zum Beispiel wissen, wie Symptome systematisch zu erfassen und zu behandeln sind. Gleichzeitig benötigen sie Kenntnisse aus den Bezugswissenschaften, wie zum Beispiel Psychologie oder Soziologie. Von besonderer Bedeutung ist der Aspekt der interprofessionellen Zusammenarbeit: Letzteres bedeutet unter anderem, dass sie erkennen, wann welche Fachgruppen einzubeziehen sind.
Aber was nützt das, wenn es doch zu wenig Versorgungsplätze gibt?
Unsere Absolventinnen und Absolventen bringen nicht nur ihr Wissen in die Praxis ein, sie agieren auch als Sprachrohr. Es gibt einige, die in Verbänden organisiert sind. Sie haben also die Möglichkeit, etwas zu verändern. Ihnen das mit auf den Weg zu geben, ist eines unserer Ziele.
Welche Besonderheit hebt den MAS in Palliative Care an der FHS St.Gallen von vergleichbaren Studiengängen ab?
Eine Besonderheit ist sicherlich die interprofessionelle Ausrichtung, die sich auch in den Dozierenden widerspiegelt. Bei uns unterrichten neben Ärzten, Pflegewissenschaftlern und Pflegefachleuten unter anderem auch Fachpersonen aus den Bereichen Theologie und Soziologie.
Wo macht sich Ihre Handschrift als Studienleiterin bemerkbar?
Ich bin sehr forschungsgeprägt. Mir ist es wichtig, dass die Teilnehmenden erfahren, wo sie Studien finden, unter welchen Vorzeichen diese zu lesen sind und wie sie diese kritisch hinterfragen. Neben aktuellen Ergebnissen aus der Forschung möchte ich aber auch Fallbeispiele mitbringen. Und mein Ziel ist es, Raum für Diskussionen zu lassen und das Netzwerken unter den Studierenden zu ermöglichen.
Sie sind Österreicherin, haben an der Universität Wien studiert und promoviert. Als Mitarbeiterin der FHS St.Gallen haben Sie aber auch eine Schweizer Hochschule kennengelernt. Was könnte sich diese von den Österreichern abkupfern?
Die beiden Systeme sind schwer miteinander zu vergleichen, da das Lehren und Lernen in einem komplett verschiedenen Rahmen stattfindet. Die Fachhochschule ist praxisorientiert, an der Universität fokussiert man eher auf den theoretischen Diskurs. Ich persönlich begrüsse es sehr, dass man zwischen Theorie und Praxis eine Brücke schlägt. Ich denke, es können beide voneinander lernen: die Wiener von den St.Gallern und umgekehrt (lacht).
Zur Person
Andrea Kobleder ist im österreichischen Ried im Innkreis aufgewachsen. Nach der Matura hat sie an der Universität Wien Pflegewissenschaft studiert und gleichzeitig eine Ausbildung zur Pflegefachfrau gemacht. Auf diesem Beruf arbeitete sie schliesslich für drei Jahre. 2013 entschloss sie sich zu einem Praktikum am Institut für Angewandte Pflegewissenschaften an der FHS St.Gallen, wo sie 2014 ihre Tätigkeit als wissenschaftliche Mitarbeiterin aufnahm. Parallel dazu absolvierte sie an der Universität Wien ein Doktorat in Pflegewissenschaft. Seit Mai leitet Andrea Kobleder – gemeinsam mit Prof. Dr. André Fringer in der Funktion als wissenschaftlicher Leiter – den Weiterbildungsmaster MAS in Palliative Care an der FHS St.Gallen. In ihrer Freizeit fährt die 30jährige Wahl-Sanktgallerin gerne in die Berge. Im Sommer verbringt sie zudem viel Zeit am Bodensee, wo sie sich ihrer Leidenschaft, dem Standup-Paddeln, widmet.