Für Gesunde ist die Mundpflege eine alltägliche Selbstverständlichkeit. Sterbende sind hingegen oft nicht mehr in der Lage, diese persönliche und intime Verrichtung selbst durchzuführen. Übernehmen Pflegende diese Aufgabe, können sie das Wohlbefinden und damit die Lebensqualität von Menschen am Lebensende wesentlich verbessern. Doch dazu braucht es Bewusstsein, Geduld und Wissen. Regula Danuser, Absolventin des CAS Interprofessionelle spezialisierte Palliative Care an der FHS St.Gallen, hat ihre Abschlussarbeit dem Thema Mundpflege bei Sterbenden gewidmet. Im Interview spricht sie darüber, welche Beschwerden damit verringert werden können, weshalb die Mundpflege in der Praxis oft noch eine grosse Herausforderung darstellt und was mit den Erkenntnissen aus ihrer Arbeit geschieht.
Frau Danuser, in Ihrem Berufsalltag als Mitarbeiterin eines Hospizes spielt die Mundpflege bei Sterbenden eine zentrale Rolle. Wie kann man sich diese Aufgabe überhaupt vorstellen?
Da Sterbende oft nicht mehr essen und trinken, leiden sie meist an Mundtrockenheit. Zusätzlich können Medikamente oder Tumortherapien die Speichelproduktion vermindern. Das alles kann zu verschiedenen Beschwerden wie Durstgefühl sowie Schluck- und Sprechbeschwerden führen. Bleiben diese unbehandelt, kommt es nicht selten zu Schleimhautentzündungen und Pilzinfektionen, verbunden mit Schmerzen. Deshalb muss es unser Ziel sein, Sterbenden eine Mundpflege und Munderfrischung anzubieten, die sie einerseits als angenehm empfinden und die andererseits ihre Beschwerden lindern und Komplikationen vermeiden.
Was gehört zur Mundpflege dazu?
Da gibt es verschiedene Möglichkeiten. Zum Beispiel kann man den Mund regelmässig mit einem Zerstäuber oder Schaumstoffstäbchen befeuchten und die Mundschleimhaut mit Ölen wie zum Beispiel Oliven- oder Kokosöl einfetten. Einen kühlenden und durststillenden Effekt haben Crushed Ice oder Fruchtstückchen, die in eine Gaze eingewickelt werden, und an denen Betroffene saugen können. Die Mundpflege mit der Zahnbürste hat den grössten Erfrischungseffekt und muss deshalb solange wie möglich und gewünscht ermöglicht werden. Entscheidend ist aber, dass die Pflegenden zuerst behutsam erfassen, welche Beschwerden eine Person hat und auf deren verbale und nonverbale Äusserungen eingehen. Für die Mundpflege braucht es nicht nur Zeit, sondern auch Fachwissen zu Methoden, Arzneimitteln und Substanzen. Darüber hinaus sind manuelle Fertigkeiten und Erfahrung einer korrekten Durchführung notwendig. Wichtig sind auch der frühzeitige Einbezug und die Begleitung der Angehörigen. Wenn diese mit einer Munderfrischung etwas Gutes tun können, fühlen sie sich nicht mehr so hilflos. Dies bedeutet eine nicht zu unterschätzende Unterstützung im Umgang mit Abschied und Trauer.
Sie haben Ihre Abschlussarbeit im CAS Interprofessionelle spezialisierte Palliative Care über die Mundpflege bei Sterbenden geschrieben. Weshalb ist dieses Thema für Sie so wichtig?
Der Mund gehört zu den wahrnehmungsstärksten Zonen des menschlichen Körpers. Solange wir gesund sind, können wir die Mundpflege nach unseren Gewohnheiten und Vorlieben durchführen. In der Sterbephase ist es meist nicht mehr möglich, diese ganz persönlichen Verrichtungen selbst auszuführen. Damit es nicht zu Beschwerden und Komplikationen kommt, ist die Mundpflege aber weiterhin wichtig. Sie trägt viel zum Wohlbefinden und zur Lebensqualität von Sterbenden bei. Pflegende können mit einer frühzeitigen und adäquaten Mundpflege und Mundbefeuchtung der Entstehung und Schwere von Mundschleimhautschäden entgegenwirken und bereits vorhandene Komplikationen verringern. Trotzdem ist es für Sterbende meist unangenehm, wenn Pflegende diese Aufgabe übernehmen.
Warum?
Die Nähe, die dadurch entsteht, kann zwar beruhigend wirken, aber genauso ein Gefühl von Ausgeliefertsein, Angst und Scham auslösen. Umso wichtiger ist es, dass wir diesem Thema mehr Beachtung schenken. Meine Beobachtung hat gezeigt, dass sich Pflegende dieser Tatsache in vielen Fällen noch zu wenig bewusst sind. Oft unterschätzen sie den Nutzen und die Notwendigkeit einer patientenorientierten und individuellen Mundpflege und vernachlässigen sie deshalb.
Vielleicht auch aus dem Grund, dass sich Patientinnen und Patienten dagegen wehren?
Es kommt vor, dass Sterbende das Gesicht abwenden, die Zähne zusammenbeissen oder – solange sie noch in der Lage sind – sich mit den Händen wehren. Die Pflegenden stehen dann in einem Spannungsfeld zwischen dem Respektieren der Intimsphäre Mund und ihrer pflegerischen Aufgabe. Auf keinen Fall darf man die Patientinnen und Patienten zur Mundpflege zwingen. Vielmehr muss es gelingen, Kontakt über eine Vertrauensbasis aufzubauen. Doch auch für Pflegende kann diese intime Verrichtung schwierig sein, denn Nähe berührt.
Was können Pflegende verbessern, damit die Sterbenden ein angenehmes Gefühl haben bei der Mundpflege?
Sterbende brauchen Ruhe und Zeit, um zu erkennen, was mit ihnen geschieht. Pflegende müssen deren Rhythmus respektieren und sich diesem anpassen. Dazu braucht es Bewusstsein, sorgfältige Beobachtung und Geduld. Trotz allfälligem Zeitmangel darf der Zugang zum Mundraum nie gewaltsam erfolgen. Es empfiehlt sich, zuerst den Kontakt über die Schultern zu suchen und verbal anzukündigen, was man macht. Vielen Pflegenden fehlt es im Zusammenhang mit der Mundpflege an evidenzbasiertem Wissen. Ohne dieses lassen sich Mängel in der Pflegequalität oft gar nicht erkennen. Ziel meiner Arbeit war es deshalb auch, diesbezüglich einen Entwicklungsprozess anzustossen. Deshalb setzte ich mich in meiner Abschlussarbeit zusätzlich mit dem Thema Pflege-Qualitätsstandard auseinander.
Wie machen Sie die Erkenntnisse Ihrer Arbeit – zum Beispiel die Tabellen mit Arzneimitteln und Substanzen – auch anderen Fachleuten der Palliative Care zugänglich?
Die aus dieser Arbeit entstandenen Tabellen mit Arzneimitteln und Substanzen sind bei uns im Schrank bei den Mundpflege-Materialien deponiert und bieten so eine rasche Hilfe bei der Auswahl eines geeigneten Pflegemittels. Das hat den Effekt, dass durch den gezielten Einsatz der Substanzen wichtige Zeit gespart und damit unnötiges Leid verhindert wird. Indem die Pflegenden durch ihr Handeln zu mehr Wohlbefinden in den letzten Lebensstunden beitragen können, wirkt sich das zudem positiv auf ihre Arbeitszufriedenheit und Motivation aus. Interessierten und Mitarbeitenden stelle ich neben den Tabellen gerne auch die ganze Arbeit zur Verfügung. Das Wichtigste ist für mich aber, bei der täglichen Arbeit ein Vorbild für andere zu sein. Ebenfalls versuche ich Fachleute über Mund-zu-Mund-Propaganda zu erreichen, respektive, diesen mein erweitertes Wissen über die Bedeutung, den Nutzen und die Möglichkeiten der Mundpflege weiterzugeben und sie dadurch zu motivieren.
Welche Projekte wollen Sie auf Basis Ihrer Arbeit nun weiterverfolgen?
Ich habe mit zwei Teamkolleginnen eine ausführliche Handlungsanweisung ausgearbeitet. Diese dient nun auch als Grundlage für die Palliative Care B1-Kurse, die im Haus durchgeführt werden. Zudem habe ich das bestehende Mundpflege-Set überarbeitet, welches nach Bedarf weiterentwickelt werden kann. Im Juni kann ich bei uns an der Klinik für Palliative Care im Hospiz im Park eine öffentliche Fortbildung durchführen. Nebst dem theoretischen Wissen will ich dabei auch praktische Erfahrungen im Zusammenhang mit der Mundpflege bei Sterbenden vermitteln. Und nicht zuletzt gebe ich das Wissen aus meiner Abschlussarbeit auch bei Coachings direkt am Patientenbett weiter.